Was der heilige Lukas dem heiligen Vinzenz zu sagen hat
Beim Lesen der Schriften des heiligen Vinzenz von Paul fällt auf, dass dieser häufig vom Lukasevangelium inspiriert worden ist. Auch das Leitwort der Vinzentiner stammt aus dem Lukasevangelium: „Er hat mich gesandt, den Armen das Evangelium zu verkünden“ (Lk 4,18).
Im Vergleich zu den drei anderen Evangelisten – Markus, Matthäus und Johannes – beschreibt Lukas das Leben und Wirken Jesu besonders bildreich. Man kann beinah den Eindruck gewinnen, dass für Lukas das Handeln Jesu wesentlicher ist als dessen Worte. Lukas ist es wichtig, dass die Menschen in den Taten und Worten Jesu das heilmachende Wirken Gottes praktisch erfahren.
Auch in den Schriften des heiligen Vinzenz von Paul geht es weniger um eine systematische Lehre über Gott oder den Glauben, sondern vielmehr um das Handeln zum Wohl der Armen. Für Vinzenz gibt es sogar Situationen, in denen die tätige Nächstenliebe Vorrang vor dem Gemeinschaftsgebet hat: „Der Armendienst ist allen anderen vorzuziehen und immer sofort zu leisten. Wenn also etwa zur Zeit des Gebetes einem Notleidenden ein Medikament zu reichen oder eine andere Hilfe zu leisten ist, dann tut das ganz ruhig und opfert es Gott auf, als ob ihr das Gebet gar nicht verließet… Man vernachlässigt Gott nicht, wenn man ihn um seinetwillen verlässt.“ (SV XI,32).
Auch das Gottesbild des heiligen Vinzenz orientiert sich am Lukasevangelium. Lukas zeigt uns Jesus immer wieder als derjenige, der Gottes Liebe verkündet und lebt. Jesu Heilungen und seine verkündende Zuwendung zu den Sündern – z.B. bei Zachäus – sind Ausdruck seiner Barmherzigkeit. Vinzenz hat diese Gedanken aufgegriffen, wenn es bei ihm heißt: „Erbarmen ist das innerste Geheimnis Gottes.“ (SV XI, 340).
Im Lukasevangelium fällt eine große Liebe zum Detail auf. Lukas erwähnt exakt, welches Körperteil erkrankt ist oder wo der Aussatz zu sehen ist. Indem auch die Einzelheiten des Leidens wahrgenommen werden, zeigt Jesus dem Bedürftigen: Du wirst gesehen. Ich interessiere mich für dich und dein Schicksal. Auch der heilige Vinzenz ist den Menschen mit einem aufmerksamen Blick und offenen Herzen begegnet. Er hat mit „Antennen der Liebe“ die Nöte seiner Mitmenschen aufgespürt, wie es einmal der brasilianische Erzbischof Dom Helder Camara (1909-1999) formuliert hat.
Lukas betont auch immer wieder, wie sehr Jesus im Gebet die Nähe zu seinem himmlischen Vater sucht. Häufig zieht er sich in der Morgenfrühe zum Beten in die Einsamkeit zurück. Auch für Vinzenz ist das Gebet eine tragende Säule des Dienstes am Nächsten: „Geben Sie mir einen Menschen des Gebetes und er wird alles vermögen“ (SV XI,83), sagt er voller Vertrauen in die Kraft Gottes.
Autor Pater Hans-Georg Radina, zusammengefasst von Dirk Lenschen