Demo gegen die Benachteiligung von Bedürftigen mit Sehschwäche / Vinzenz-Konferenzen und Runder Tisch Armut fordern Gesetzesänderung

Mit einer Demonstration in Paderborn haben die Vinzenz-Konferenzen im Erzbistum Paderborn und der örtliche Runde Tisch Armut am Mittwoch auf die soziale Benachteiligung von bedürftigen Brillenträgern hingewiesen. Mit Ratschen und Druckluftfanfaren machten die rund 100 Demonstrationen lautstark auf deren Notsituation aufmerksam. Wer in Armut lebe, könne sich keine angemessene Brille leisten, da weder Krankenversicherung noch die Grundsicherung (SGB II) die Kosten übernähmen, sagte Ulrich Keuthen, ehrenamtlicher Diözesan-Vorsitzender der Vinzenz-Konferenzen, vor dem Paderborner Rathaus. „Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass so etwas wichtiges wie eine Brille aus den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen worden ist?“, fragte er. Weil viele Brillenträger teurere Brillen gekauft hätten, als ihnen von den Krankenkassen erstattet wurden, habe der Gesetzgeber geschlussfolgert, dass sie dann ja auch die ganze Brille bezahlen könnten. „Diese Logik mag für Menschen mit gutem Einkommen stimmen. Mit der sozialen Wirklichkeit von heute hat das aber wenig zu tun“, kritisierte Keuthen. „Jeder Sechste gilt in NRW als armutsgefährdet. Da ist für viele kein Spielraum, sich eine neue Brille anzuschaffen.“

Nicole Wiggers vom Runden Tisch Armut in Paderborn betonte, welch große Bedeutung das Sehen im Alltag habe. Menschen in Armut seien allein aufgrund ihrer finanziellen Situation von Ausgrenzung betroffen, könnten wegen fehlender Sehhilfen weder Fahrpläne noch Beipackzettel von Medikamenten oder Informationen über geplante Aktivitäten lesen. Ein Ansparen für eine Sehhilfe von der Grundsicherung, wie vom Gesetzgeber vorgesehen, sei angesichts der erforderlichen Summen kaum möglich, sagte Nicole Wiggers. Der Runde Tisch Armut schließe sich deshalb der Forderung der Vinzenz-Konferenzen an, dass die Krankenkassen die Kosten einer Brille für Menschen mit geringem Einkommen übernehmen oder dass bei der Grundsicherung die Bezuschussung einer Brille ermöglicht werde. Ulrich Keuthen rief die heimischen Bundestagsabgeordneten dazu auf, sich für entsprechende Gesetzesänderungen einzusetzen. „Es ist keine Marginalie. Es geht um ein Problem, das viele Menschen berührt.“ „Wir müssen nachbessern“, gestand der Paderborner SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Blienert. „Den Auftrag nehme ich mit nach Berlin.“

Die gesetzliche Krankenversicherung sieht nur für Kinder und Jugendliche und für stark Sehbehinderte einen Zuschuss zur Anschaffung von Brillengläsern vor. Andere gesetzlich Krankenversicherte müssen ihre Brille selbst finanzieren. Die Vinzenz-Konferenzen im Erzbistum Paderborn bemühen sich deshalb mit ihrem Projekt „Den Durchblick behalten“ seit zwei Jahren einerseits um eine entsprechende Gesetzesänderung und leisten andererseits in konkreten Einzelfällen Zuschüsse zum Erwerb einer Brille. So konnten sie – auch mit großzügiger Hilfe eines Paderborner Optikers – schon in fast 250 Fällen Unterstützung leisten.

Hintergrund

Die Gemeinschaft der Vinzenz-Konferenzen in Deutschland ist ein Fachverband im Deutschen Caritasverband. Bundesweit engagieren sich 5000 Mitglieder in 350 Vinzenz-Konferenzen für Menschen in Notlagen. Die 20 Vinzenz-Konferenzen im Erzbistum Paderborn mit insgesamt rund 200 Mitgliedern befinden sich in Attendorn, Brilon, Castrop-Rauxel, Herne, Iserlohn, Paderborn, Rheda-Wiedenbrück, Unna, Wenden und Witten.

Der „Runde Tisch Armut Paderborn“ wurde von 16 sozialen Verbänden und Vereinen aus der Stadt Paderborn 2007 gegründet. Ziel des breiten Bündnisses von Trägern sozialer Arbeit in der Stadt ist die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema Armut. Der Runde Tisch wird getragen von den örtlichen Wohlfahrtsverbänden AWO, Caritas, Diakonie, DPWV und DRK, den Vereinen Ev. Perthes Werk, KIM, IN VIA, PIGAL, Paderborner Tafel, SKF, SKM und der Verbraucherzentrale sowie dem Dekanat Paderborn und dem evangelischen Kirchenkreis Paderborn.