„Den Durchblick behalten“
Fachtag thematisiert Sehvermögen als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe
Hagen, Erzdiözese Paderborn. Zwei Drittel der Menschen in Deutschland sind auf eine Sehhilfe angewiesen. In der Altersgruppe 60 Jahre und älter liegt der Anteil bei über 90 Prozent. Gutes Sehen spielt eine wichtige Rolle, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können – und ist Voraussetzung für eine sichere Bewegung im Alltag. Wer schlecht sieht und keine passende Brille hat, zieht sich häufig mehr und mehr aus dem öffentlichen und privaten Leben zurück. Oder die Betroffenen sind aufgrund von Stürzen nicht mehr ausreichend selbstständig mobil. Der Schritt in die Isolation in den eigenen vier Wänden ist damit oft nicht fern. „Das ist in Deutschland doch kein Problem!“– sollte man meinen, mit Blick auf die zahlreichen Optiker hier zu Lande. Jedoch sieht die Sozialgesetzgebung nur vereinzelt eine finanzielle Unterstützung vor. Für Menschen mit kleinem Einkommen ist das ein echtes Problem.
Grund genug für die Malteser und die Vinzenz-Konferenzen, diesem Thema einen Fachtag zu widmen. Unter dem Motto „Den Durchblick behalten – Nur passende Brillen ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe“ hatten beide Verbände in das Katholische Bildungszentrum für Gesundheits- und Pflegeberufe in Hagen eingeladen. Dieser Veranstaltungsort war nicht zufällig gewählt. Denn hier konnten sich über 100 künftige Pflegekräfte, die Auszubildenden des Bildungszentrums, gemeinsam mit ihren Lehrern und Ehrenamtliche, die sich bei den Maltesern engagieren, für das Thema sensibilisieren – durch Vorträge, eigenes Erleben, Austausch und Workshops. Zum Einstieg stellte Dr. Gabrielle von Schierstedt, Bundesbeauftragte der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung, die Bedeutung des gesunden Auges und die Entwicklung der Augenkrankheiten in unserer Gesellschaft anschaulich dar.
Anschließend vertieften die Tagungsgäste das Thema in vier Workshops. Im Workshop „Sehen mit allen Sinnen“ standen Brillen zur Verfügung, die unterschiedliche Augenerkrankungen simulierten. Setzt man eine solche Brille auf, werden im Handumdrehen alle anderen Sinne aktiv – zur räumlichen Orientierung und zur Kommunikation mit anderen. Und schnell zeigen sich dem Träger der Simulationsbrille die damit verbundenen Herausforderungen. Im zweiten Workshop „Sehen und Demenz“ drehte sich alles um die Bedeutung einer angemessenen Begleitung demenziell veränderter Menschen. Denn Menschen, die an einer demenziellen Erkrankung leiden, können sich im Krankheitsverlauf immer eingeschränkter mitteilen – und so selber auf Sehstörungen aufmerksam machen. Fakten und Zahlen zu Augenerkrankungen und ihre Bedeutung für den Arbeitsalltag, dies thematisierte der Workshop „Medizinische Folgen für den Einzelnen und unsere Gesellschaft.“ Auch „Sozialpolitische und sozialgesetzliche Hintergründe und aktuelle Entwicklungen zum Thema“ wurden anschaulich dargestellt. Dieser Workshop thematisierte das Beispiel einer Brillenfinanzierung, wenn die Eigenmittel fehlen – und weder Krankenkassen noch Jobcenter oder Grundsicherungsamt finanziell unterstützen. In diesem Themenblock stellten die Vinzenz-Konferenzen ihre Petition www.dendurchblickbehalten.de vor. Mit dieser wird an den Bundestag appelliert, sozialversicherungsrechtliche Regelungen zu verabschieden, die für Menschen mit kleinem Einkommen eine Bezuschussung zum Kauf ihrer Brille vorsehen. Auch der Einblick in die Arbeit einer Mobilen Augenarztpraxis stieß bei den Tagungsgästen auf reges Interesse.
Die anschließende Podiumsdiskussion bereicherte Claudia Middendorf, Patienten- und Pflegebeauftragte NRW. Aus zahlreichen Gesprächen nahm sie viele Aspekte zum Thema „Passende Brillen und gesellschaftliche Teilhabe“, sowie Anregungen für ihre politische Arbeit mit. Claudia Middendorf hatte in der letzten Legislaturperiode, in der sie für die CDU im Landtag saß, eine Kleine Anfrage an die Landesregierung in puncto Versorgungssituation in NRW mit Brillen gestellt. Sie ermutigte dazu, sie in ihrer neuen Funktion als Patientenbeauftragte anzusprechen, wenn in Einzelfällen Probleme bei der Beschaffung einer notwendigen Brille bestehen.
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion betonten den Stellenwert einer passenden Brille für die Lebensqualität. Dies gelte selbstverständlich auch für bettlägerige Pflegebedürftige. Die Auszubildenden Chiona Toggas und Marcin Gawel appellierten an ihre Kurskollegen, aufmerksam auf das Sehvermögen der Pflegebedürftigen zu achten – sowohl in stationären Einrichtungen als auch in der ambulanten Pflege.
Simone Brandt, Schulleiterin und Marc Grob, Fachlehrer, sind zwei verantwortliche Pädagogen des Bildungszentrums. Sie sprachen beispielhaft die Situation bei Praxisbesuchen an. Bei diesen müsse den Bewohnern die Gelegenheit gegeben werden, zu sehen, „wer denn da alles im Zimmer steht“. Wenn die Menschen dann ihre Brille nicht trügen, könnten sie natürlich auch keinen Kontakt zu den Besuchern aufnehmen. Problematisiert wurde auch, dass der Gang zum Augenarzt und Optiker für pflegebedürftige Menschen ein unüberwindbares Hindernis darstellen kann. Zwar gibt es Einrichtungen, bei denen ein entsprechender Besuch gewährleistet wird. Längst nicht überall gibt es allerdings Optiker wie den Schwerter Peter Rienhöfer, Teilnehmer des Podiums, die Sehbedürftige in den Einrichtungen aufsuchen.
Der Fachtag „Den Durchblick behalten“ ist ein Beitrag des Malteser Hilfsdienst e. V. und der Vinzenz-Konferenzen im Erzbistum Paderborn e. V. im Rahmen der Initiative „7 gegen Einsamkeit“. Diese organisieren die sieben caritativen Fachverbände im Erzbistum Paderborn gemeinsam. Mehr Infos unter: www.7gegeneinsamkeit.de
Bildunterschrift:
v.l.: Marcin Gawel, Chiona Toggas, Simone Brandt, Marc Grob,
Peter Rienhöfer, Claudia Middendorf, Matthias Krieg, Ilona Schäfer,
Katja Dördrechter, Stefan Simon, Dr. Gabrielle von Schierstaedt,
Franz Kudak, Stefanie Glaßmeyer. Foto: Heringhaus